DEEDS NOT WORDS

TEXT | FILMANALYSIS | MEDIA ETHICAL ESSAY

(GERMAN TEXT)

Eingeschlagene Schaufenster und Bomben als weiblicher Emanzipationskampf – heldenhaft oder terroristisch? Der Film Suffragette von Sarah Gavron erzählt eine bewegende Geschichte über eine Gruppe von mutigen Frauen, die für das Frauenwahlrecht und die Geschlechtergleichstellung kämpfen. Obwohl die Geschlechterdiskriminierung im Zentrum steht, ist auch die Gewalt omnipräsent. Damit die Frauenrechtlerinnen den nötigen Widerstand gegen die Männergewalt leisten können, entwickeln sie die Strategie «Taten statt Worte». Die Gewaltausübungen der Frauen werden im Film in ein moralisch gutes Licht gezogen. Doch inwiefern waren ihre militanten Aktionen medienethisch legitim? Um diese Fragestellung thematisieren zu können, werden die Figuren, das Setting und der Emanzipationskampf analysiert. Auf der Makro- und Mikroebene wird die Legitimität der Gewaltdarstellung und dessen Wirkung auf den Rezipienten untersucht. 

Das Historiendrama Suffragette findet in London zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt, als Frauen noch kein Wahlrecht hatten. Der Spielfilm veranschaulicht das Schicksal der fiktiven Protagonistin Maud Watts, die durch tägliche Ungerechtigkeiten (bspw. Vergewaltigungen und schlechte Arbeitsbedingungen) sich zur Suffragette entwickelt. Da die männliche Regierung und Presse den verbalen Protest ignoriert, haben sich die Suffragetten darauf geeinigt den Protest zu radikalisieren, Gesetze zu brechen und die Öffentlichkeit mit militanten Aktionen zu erreichen. Die Geschichte endet mit einem Selbstmord einer Märtyrerin, die sich vor der Presse vom Pferd des Königs tödlich verletzen lässt. Der Film basiert auf realen historischen Begebenheiten. Dennoch klärt er nicht die ganze Wahrheit auf. Die unschuldigen Opfer, die ihretwegen gefährdet wurden oder ihre rassistische Haltung gegenüber Farbigen werden im Film nicht gezeigt. In einer Filmkritik schreibt A. Hünniger (Zeit Online, 2016): «sollen radikale Frauen einfach nicht so gezeigt werden, wie sie sind, nämlich radikal?». 

Passend zur Atmosphäre werden Schauplätze wie die Wäscherei oder der Gerichtssaal mit einer kalten und farblosen Farbgestaltung inszeniert. Zudem veranschaulicht die karge Einrichtung von Mauds Wohnung die damalige Lage des Arbeitermilieus. Auch die Kostüme und das Make-up stellen die schlechten Arbeitsbedingungen dar. In der Wäscherei sind schwitzende, ermüdete Frauen mit geröteten Wangen und ungewaschenem Haar, in abgenutzter Kleidung zu sehen. 

Durch die Figuren erhält man einen Einblick in ein Gesellschaftsporträt, in dem eine tief verwurzelte Geschlechterdiskriminierung herrscht. Der Film beinhaltet drei Positionen, die unterschiedliche Werte und ethische Prinzipien vertreten. Der Wäschereibesitzer als Vergewaltiger und korrupter Arbeitgeber sowie der skrupellose Polizist der Regierung, stellen die Täterposition dar. Die Suffragetten hingegen repräsentieren die Opferrolle. Die Protagonistin Maud war anfangs eine gehorsame Frau der Arbeiterklasse, welche die Diskriminierung nicht infrage gestellt hat. Der Konsumierende kann sich daher mit ihr am besten identifizieren, weil dieser zu Beginn ebenfalls unwissend ist. Die Gegenüberstellung der machtgierigen Männer und Aktivistinnen als Heldinnen dient wohl der Schwarz-Weiss-Malerei. Die Dialoge verstärken diese Rollenbilder hervorragend. «Du bist eine Mutter und eine Ehefrau. Meine Ehefrau. Und so solltest du dich auch benehmen.», so Mauds Ehemann. Auch Bildkompositionen und Perspektiven spielen eine Rolle bei der Figurenkonstellation. Anhand von Nahaufnahmen wird das Leiden der Frauen deutlich veranschaulicht. Mit der Obersicht-Perspektive wird oftmals die soziale Position der Figuren unterstrichen. Zum Beispiel steht der Wäschereibesitzer auf einer höheren Plattform und schaut zu den Frauen runter. Ein solches Bild symbolisiert den Mann als höhere Machtposition. Die filmische Gestaltung wurde detailliert durchdacht und passend umgesetzt. 

Der Film Suffragette durchbricht die stereotypische Frauendarstellung als passives Opfer von Gewalt. Normalerweise werden Frauen in Spielfilmen schwach und passiv dargestellt, wobei die Männergewalt hingegen oftmals propagiert wird wie z. B. im Film «Der Läufer». S. Marcus (1992, S. 392) stellt fest, dass männliche Gewalt nicht infrage gestellt wird und daher moralisch legitim scheint. Suffragette dreht den Spiess um und stellt das weibliche Geschlecht vom passiven zum aktiven Handlungssubjekt dar. Dabei wird eine neue Form der Weiblichkeit vermittelt, die ihre Würde aktiv verteidigt. 

Heute wirkt der weibliche Emanzipationskampf friedlicher. Laut W. Kraushaar (Lambrecht, 2020) haben Aktivist*innen mittels neuer Technologien neue Formen der Proteste gefunden. Die heutigen Feministen bevorzugen gewaltfreie Demonstrationen, Kunst und Medien. Dank den Sozialen Medien ging zum Beispiel das feministische Video «Männerwelten» von Jokko und Klaas viral. Dass aber einige Frauenrechtlerinnen gewalttätig sein können ist nicht ausgeschlossen. In Mexiko legen Aktivistinnen Feuer und beschmieren die Tore der Regierung, um gegen Frauenmorde zu kämpfen. Wie in Suffragette protestieren sie gegen Gewalt an Frauen, indem sie Gewalt als Selbstverteidigung anwenden. Gewalt als Selbstverteidigung ist gemäss P. Zuckerhut ethisch legitim (2010, S. 278). In beiden Fällen wird Gewalt als Mittel verwendet, um eine Nachricht zu übermitteln. Gewalt hängt nämlich immer mit einer instrumentellen Rationalität zusammen (Schroder & Schmidt, 2001, S. 3). Abgesehen davon bevorzugen die meisten Frauen verbale Strategien (McGowan, 1993, S. 455). 

Ist Gewalt also männlich? Gewalt ist ein Ausdruck triebhaften Verhaltens. Aus einer feministischen Analyse «liegt in der Triebhaftigkeit des Mannes die Universalität des Patriarchats und damit auch männlicher Gewalt gegen Frauen begründet» (Zuckerhut, 2019, S.278). Aus meiner Sicht sollte Gewalt kein Geschlecht haben. Dennoch wirkt sie oftmals männlich, weil Männer im Kontext von Gewalt häufiger auftreten als das weibliche Geschlecht (Krieg, Filme etc.). 

Gewalt dürfen Filmschaffende nur mit Vorsicht darstellen. Denn ihre Wirkung kann ethisch problematisch sein, wenn sie verharmlost wird (Bohrmann, 2010, S. 421). Filmische Werke mit Gewalt könnten den Rezipienten zum gewaltsamen Handeln auffordern. Gemäss der Kultivierungshypothese wird beim regelmässigen Fernsehen die Realität verschmutzt, da diese durch eine «TV-Brille» verzerrt wird (Gerbner & Gross, 1976, S. 182). Dadurch nehmen Vielseher ihre Umwelt als gewalttätiger war, als sie tatsächlich ist. Die Darstellung der Männergewalt in Suffragette ist in dieser Hinsicht jedoch legitim, da der Gegenspieler der Suffragetten keine Vorbildfunktion hat und den Rezipienten sogar darauf sensibilisiert, dass gewalttätige Handlungen unmoralisch sind. Zudem spielt die zeitliche Distanz zwischen dem gefilmten Ereignis und dem Zeitpunkt der Filmwiedergabe eine wichtige Rolle. Je entfernter das Ereignis, desto geringer das Identifikationspotential und umso kleiner die Chance, dass der Rezipient zur Gewalt animiert wird. 

Bei der medienethischen Beurteilung von Gewaltdarstellung muss die Mehrdeutigkeit von Gewalt beachtet werden. Gewalt ist nämlich «ambivalent, gleichermassen schöpferisch-konstruktiv und zerstörerisch-destruktiv» (Zuckerhut, 2010, S. 280). Die ethische Analyse hängt deswegen von vielen Faktoren ab. Welche Sichtweise haben Täter und Opfer? Welche Auswirkungen ergeben sich daraus? Schafft Gewalt mehr Ordnung als Schaden? Deswegen sollte Gewalt im Gesamtkontext untersucht werden, da sie «immer irgendeine Art von Beziehungen mit anderen» ausdrückt (Zuckerhut, 2010, S. 294). 

Zwischen der Männer- und der Suffragetten-Gewalt ist im Film eine unterschiedliche Darstellungsstrategie erkennbar. Die militanten Aktionen der Suffragetten werden meistens mit ruhiger Musik begleitet. Währendem sie z. B. die Fenster einschlagen fällt die musikalische Untermalung sogar ganz weg und nur der O-Ton ist zu hören. Bei der Selbstmordszene gibt es weder ein Voice-over, O-Ton noch Musik. Diese Stille reisst den Konsumierenden aus dem fiktionalen Film und animiert zum Nachdenken. Zudem ist die optische Darstellung des Selbstmordes legitimiert, weil weder ein toter Körper noch Blut gezeigt wird. Die Kamera fokussiert sich auf die Reaktionen der Leute. Bei der Männergewalt wiederum werden Schäden, Blut und das Leiden der Opfer deutlich mit Nahaufnahmen, melancholischen Klängen und Orchestertrommeln dramatisiert. Zum Beispiel sind in der Schlägereiszene die hektische Montage und die wackelige Kameraführung gut erkennbar. 

Der Film zieht die Männergewalt bewusst in ein unmoralisches Licht, weil es sich um die Unterdrückung der Frauen handelt. Die systematisch durchdachte Militanz der Suffragetten wird hingegen als positiv eingestuft, da diese zur Errichtung einer besseren Gesellschaft dient und zu mehr Ordnung als Schaden führt. «Not even the extreme violence to which the suffragettes have gone is bad enough to justify the continued refusal of the vote.», so die Suffragistin M. Winsor (1914, S. 140). 

Die Suffragetten hatten viele Gegner, unter anderem die National Union of Women's Suffrage Societies, welche ihre Militanz verabscheuten. Gemäss dem Terrorism Act 2000 (Legislation.gov.uk, 2000) war ihre Gewalt wirklich terroristisch, denn sie bedrohten die Regierung und brachten schwerwiegende Sachschäden mit sich. Im Gesamtkontext wird ihre Gewalt jedoch aus ethischer Sicht trotzdem als legitimes Mittel für die Emanzipation betrachtet, da der verbale Protest keine Anerkennung fand. «it is militancy – and, in particular, the violent militancy of 1912-14 – which has continued to attract public attention.» (Bearman, 2005, S. 366). 

In Suffragette geht es nicht um den Erfolg der Frauen, sondern um die Radikalisierung der Bewegung. Damit der Zuschauer sich in die damalige Lage hineinfühlen kann, ist die Gewalt dementsprechend unverzichtbar. Die Darstellung dieser Gewalt wurde in jeder Hinsicht durchdacht und auf legitimer Art dargestellt. Auf der Ebene der Produktion wollte die feministische Regisseurin S. Gavron jedoch nicht nur über die damalige Zeit berichten, sondern den Zuschauer auffordern, das weibliche Geschlecht weiterhin zu unterstützen. «Suffragette is part of two time-lines—past and future—women speaking out, empowering women back in time, but also enabling and supporting them now.» (Gavron & Smyth, 2015, S. 21). 


Bibliographie 

Bearman, C. J. (2005). An Examination of Suffragette Violence. The English Historical Review, 120 (489), S. 365-397. 

Bohrmann, T. (2010). Mediale Gewaltdarstellungen. In C. Schicha, & C. Brosda (Hrsg.) Handbuch Medienethik (S. 417-423). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 

Gavron, S., & Smyth, J. (2015). The Past, Present, and Future of Women's History on Screen: An Interview with Sarah Gavron. Cinéaste, 41 (1), S. 18-21. 

Gerbner, G. & Gross, L. (1976). Living With Television: The Violence Profile. Journal of Communication, 26 (2), S. 173-199. 

Hünniger, A. H. (2016). Wie eine Rede von Joachim Gauck. Zeit Online. Von https://www.zeit.de/kultur/2016-02/suffragette-film-sarah-gavron-wahlrecht-grossbritannien-suffragetten-gleichberechtigung-10nach8 

Lambrecht, K. (2020). «Steine zu werfen, liegt mir fern». SRF. Von https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/wochenende-gesellschaft/jugendproteste-heute-steine-zu-werfen-liegt-mir-fern 

Legislation.gov.uk. (2000). Terrorism Act 2000. Von http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2000/11/section/1 

Marcus, S. (1992). Fighting Bodies, Fighting Words: A Theory and Politics of Rape Prevention. In J. Butler, & J. Scott (Hrsg.), Feminists Theorize the Political (S. 385-403). New York: Taylor & Francis Ltd. 

McGowan, J. (1993). THINKING ABOUT VIOLENCE: FEMINISM, CULTURAL POLITICS, AND NORMS. The Centennial Review, 37 (3), S. 445-469. 

Schroder, I. W., & Schmidt, B. E. (2001). Introduction: Violent Imaginaries and Violent Practices. In Schroder, I. W., & Schmidt, B. E. (Hrsg). Anthropology of Violence and Conflict (S. 1-24). London: Routledge. 

Winsor, M. (1914). The Militant Suffrage Movement. The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 56, S. 134-142. 

Zuckerhut, P. (2010). Von der Gewaltdebatte in Anthropologie und Sozialwissenschaften hin zu einer feministischen Analyse geschlechtlich konnotierter Gewalt. Zeitschrift für Ethnologie, 135(2), S. 275-304. 

Facts & Figures

Year of production: 2020
Client: Bachelor Studium Multimedia Production, FHGR, Modul Medienethik
Author: Nadine Hauser

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